Machen Namen wirklich Leute?
Eine kleine Namenspsychologie. Oder warum-ich-so-heiße-wie-ich-heiße-Philosophie. Und für mancheine(n) eine Einladung, sich mit dem eigenen Vornamen zu versöhnen.
Mögen Sie Ihren Vornamen? Passt er zu Ihnen? Oder setzen wir noch früher an: Ist es Zufall, Plan oder Intuition, wenn wir Namen vergeben? Vielleicht haben Ihre Eltern monatelang in Namensbüchern gewühlt und nach Bedeutungen ausgewählt, vielleicht wurde einfach der Name des Großvaters übernommen oder Sie kommen aus einer sehr religiösen Familie oder die Entscheidung wurde aus dem Bauch heraus gefällt: Was klingt gut? Was mögen wir? Hatten unsere Eltern am Ende bereits eine Idee, wie wir werden? Wer wir sind?
Fluch oder Segen
Dann war der Name eben irgendwann gesetzt und amtlich eingetragen. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was Sie für Ihren Vornamen empfinden? Ist er für Sie Fluch oder Segen? Oder egal? Für ein Kind ist er einfach da, es wird damit angesprochen und entdeckt sich selbst. Der Name ist in der Regel das erste Wort, das Kinder schreiben wollen und können. Sie identifizieren sich damit. Als Heranwachsende finden wir unseren Namen häufig ziemlich blöd. Es gibt doch sooo coole Namen, und wir heißen einfach nur XXX? Und jetzt haben wir uns halt daran gewöhnt. Oder ist da mehr? Bei einigen Menschen kommt sogar der Zeitpunkt, wo ihr Name ihnen hilft, sich besser zu verstehen oder sogar eine Lebensaufgabe damit zu verbinden.
Was bedeutet Ihr Vorname für Sie?
Eine kleine Wortspielerei: Wir lassen uns mit unserem Namen ansprechen. Lassen wir uns auch von ihm ansprechen?
„Für jeden Menschen ist sein Name das schönste und bedeutungsvollste Wort in seinem Leben“, sagt Dale Carnegie, Schriftsteller und Motivationstrainer. Und der römische Dichter Titus Maccius Plautus war überzeugt: „Der Name ist zugleich Vordeutung“.
Dann mache ich mich einmal auf die Suche. Mein Vorname Martina bedeutet übersetzt „Tochter des Mars“ und „die mit dem Kriegsgott Geweihte“. Kriegerisch bin ich jetzt eigentlich gar nicht unterwegs. Aber eine gewisse Wehrhaftigkeit ist auch nicht zu verachten. „Zwischen 1960 und 1980 gehörte Martina zu den beliebtesten Namen für neugeborene Mädchen in Deutschland.“ Es könnte also sein, dass meine Eltern einfach einen gängigen Namen gewählt haben. „Der Name ist die weibliche Variante von Martin.“ Hm, ich bin aber natürlich ein Uniquat. „Spitznamen sind Tina, Tini, Tinchen, Marti, Mina, Tine, Nini, Trini …“. Ja, zwei davon habe ich, und es ist manchmal verwirrend, wer mich wie nennt – ich habe einen Kinderspitznamen und einen Heranwachsenden-Spitznamen. In Spitznamen kann etwas Liebevolles, etwas Unverwechselbares liegen. Auch über Ihren Spitznamen dürfen Sie, sofern Sie einen haben, gerne einmal nachdenken.
Namen spiegeln den Zeitgeist wider
Und ja, es gab eine Phase, in der ich meinen Namen nicht wirklich mochte. Namen entsprechen immer einem Zeitgeist. Heute sind Namen wie Anna oder Paul wieder in, in den sechziger Jahren galten sie als total altbacken. Und für mich ist mein Name bis heute ziemlich altmodisch.
Mit Namen treten wir miteinander in Kontakt
Wenn wir Dinge benennen, können wir darüber reden. Dank unserer Namen sprechen wir über Menschen und kommen miteinander in Kontakt. Dieses „Benamen“ ist also eine Grundlage für Kommunikation. In einem „Sommergespräch“ des Münchner Wochenanzeigers fällt mir ein kleiner Bibel-Exkurs ins Auge. Dort ist davon die Rede, dass wir alle(s) mit einem Namen versehen – damit wir Dinge und Menschen kennenlernen und eine Beziehung aufbauen, damit wir letztlich achtsamer damit umgehen. Und Gott sagt in der Bibel: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen“. Gedeutet wird dies mit: Du gehörst zu mir und ich gehöre zu dir. Wir gehören zusammen. Ich sehe dich, ich nehme dich wahr. Ich kenne dich. Auch das steckt in dem Gedanken der Taufe: Dass man als einmaliges, geliebtes Geschöpf angenommen und der Welt vorgestellt wird. „Jede Taufe schafft diesen Zauber neu“, sagt der Pfarrer Hans-Martin- Köbler in dem Gespräch. Und: „Der Name ist unser Geschenk“.
Wenn wir uns beim Namen nennen, zeigen wir Respekt
Machen wir doch einmal die Gegenprobe: Wie fühlen Sie sich, wenn jemand Sie nicht beim Namen nennt (und andere schon)? Sich Ihren Namen partout nicht merken kann? Oder ihn hartnäckig falsch ausspricht? Sie vermissen die notwendige Wertschätzung und sind mitunter sogar beleidigt. Sie fühlen sich als nicht gesehen, nicht wahrgenommen. Etwas blockiert in Ihnen. Umgekehrt wissen wir, wie unhöflich und peinlich es sein kann, wenn uns ein Name nicht mehr einfällt – nicht umsonst lege ich Ihnen die Tipps zum Namensgedächtnis in dieser Ausgabe so ans Herz.
Apropos Gedächtnis: Auch junge Menschen verwechseln Namen. Dies hat einer Doktorin für Psychologie und Neurowissenschaften mit „Ordnung in unseren Hirnen“ zu tun. Wir legen Namen in bestimmten „Ordnern“ ab – siehe Tipp auf Seite xx: Ordnen Sie den Namen einer bestimmten Kategorie zu. „Kinder, Partner, Eltern, aber auch Haustiere werden dabei meist im selben Ordner, nämlich dem für Lieblingsmenschen bzw. -tiere, einsortiert“. Soll nun ein beispielsweise der Name des eigenen Bruders abgerufen werden, kann es passieren, dass der des Sohnes verwendet wird, der im gleichen Ordner abgelegt ist. Und wenn Ihr Partner Sie versehentlich mit dem Namen seiner Ex anspricht, seien Sie bitte nicht so streng: Ihre Vorgängerin hängt halt einfach noch im selben Fach wie sie, was aber ganz und gar nicht bedeuten muss, dass er sie noch liebt.
Sind Namen denn nun mehr als „Schall und Rauch“?
Goethes Faust spricht von Namen als Schall und Rauch und drückt damit aus, dass Namen unbedeutend und vergänglich sind und nichts über eine Person oder Sache aussagen. Studien zeigen, dass Menschen sich über den Vornamen gerne ein Bild von der Persönlichkeit machen. Aber eine Magnolia blüht und duftet und strahlt ja nicht zwangsläufig von morgens bis abends. Sprachforscher Joachim Schaffer-Suchomel sagt jedoch: „Jeder Name trägt eine versteckte Botschaft“. Und er glaubt, dass die Entwicklung eines Menschen unbewusst vom Namen bestimmt wird, schon allein deshalb, weil die Menschen der Umgebung den Namen mit Empfindungen in Verbindung bringen und dadurch das Verhalten des Namensträgers beeinflussen.
Er führt weiter aus: Kurze Namen spiegeln die Schnelllebigkeit unserer heutigen Gesellschaft wieder. In der Tat sind Max, Hanna und Ben modern. Die Persönlichkeiten hinter diesen Namen werden demnach als kurz, bündig und zielstrebig eingeschätzt. Kurze Namen wirken jünger als alte Namen, wobei älteren Personen mit längeren Namen im Gegenzug höhere Weisheit und Intelligenz zugesprochen werden.
Weitere Theorien des Sprachforschers:
- Vornamen mit mehreren hellen Vokalen wie a, e, i sind beliebter, weil sie als offener und freundlicher wahrgenommen werden. Viele dunkle Vokale lassen eher auf eine tiefgründige und eher zurückhaltende Person schließen.
- Personen mit vielen unterschiedlichen Vokalen sind temperamentvoller als Personen mit wenigen oder gleichen Vokalen. Eine Ursula wäre demnach also lebhafter oder auch launischer als Peter oder Anja.
- Wenn versale Anfangsbuchstaben beim Schreiben eher nach rechts kippen wie F oder P bei Fabian oder Petra, könnte die Person eher unruhiger und unsicherer. Hanna, Emil oder Rolf wären mit ihren Anfangsbuchstaben demnach ruhiger und bodenständiger.
Der arme Kevin!
Mir geht das ehrlich gesagt zu weit. Aber gehen Sie gerne einmal Ihre Familie und Bekannte durch! An „Nomen est omen“ ist für mich aber trotzdem was dran. „Kevin, Chantal & Co. – diese Namen schaden dem Kind“, heißt es provokant in der InStyle. An einer anderen Stelle ist sogar vom „Kevinismus“ die Rede und: „Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose.“ Einer Studie zufolge beurteilen Lehrer ihre Schüler nach deren Vornamen, und zwar noch bevor diese durch ihre Leistungen auffallen. Die Assoziation mit der sozialen Schicht findet sich häufiger bei solchen Untersuchungen. Zu den Namen mit „positiver Konnotation“ (assoziative, emotionale, stilistische, wertende Bedeutung) gehören Charlotte, Sophie, Marie, Hannah, Alexander, Maximilian, Simon, Lukas oder Jakob. Zu denen mit negativer Konnotation: Chantal, Mandy, Maurice, Justin, Angelina oder Kevin.
Weitere Studien haben in der Tat gezeigt, dass Eltern aus einer unteren sozialen Schicht häufiger dazu neigen, ihren Kindern Namen von Schauspielern, Romanfiguren und Filmcharakteren zu geben.
„Sag mir, wie du heißt, und ich sage dir, wer du bist“
Der wichtigste Tipp für Eltern: Vertrauen Sie bei der Namensfindung auf Ihre Intuition! Auch wenn – so wieder unser Sprachforscher von oben – Larissa ein liebes Mädchen ist, dass oftmals in ihren Entscheidungen nicht sicher ist oder Leander ein wahrer Gutmensch, der immer sein Wohl hinter das Wohl anderer steckt und durch seine Hilfsbereitschaft überzeugt. Und Matthias, hey, mutest du dir wieder zuviel Arbeit zu und strebst irgendwelchen Idealen hinterher?
Eine Einzigartigkeit lässt sich auch durch Doppel- oder Dreifachnamen vermitteln; das könnte eine Alternative zu arg exotischen Namen sein. Und nein, Chantal kann auch Karriere machen, nicht nur Anna. Zugeschriebene Charaktereigenschaften verändern sich im Laufe der Jahre immer wieder, werden widerlegt und können keinesfalls bewiesen werden. Assoziationen sind gekoppelt an eigene Erinnerungen, Bilder oder Gefühle, die Sie mit einem Namen in Verbindung bringen. Lassen Sie uns Vorurteile unserer Gesellschaft mit Vorsicht genießen und freundlich und offen bleiben!
Versöhnung tut gut
Für manche Menschen kann es hilfreich sein, den eigenen Vornamen zu ändern, um ihrem eigenen Selbst näherzukommen, auch unabhängig vom Geschlecht. Bei mehreren Namen kann relativ einfach auf einen anderen Rufnamen gewechselt werden, oder eine bisher Gabi gerufene Frau möchte wieder mit ihrer offiziell eingetragenen Gabriela angesprochen werden. Man darf sich auch trauen, sich selbst einen Spitznamen zu geben!
In Deutschland kann man einen offiziellen Vornamen nur aus „wichtigem Grund“ ändern, etwa wenn er als anstößig oder lächerlich gilt. Ein Name kann als „Überschrift“ für unsere Person als Ganzes gesehen werden. Er hat eben eine gesellschaftliche Relevanz. Daher stellt sich die Frage, ob dieser Name, dieser Begriff, der die Bedeutung unseres Seins füllt, nicht verändert werden darf, wenn ich mich damit einfach nicht wohlfühle.
Meine eigene Erfahrung: Ich habe mich an meinen Vornamen gewöhnt, und mehr noch, ich habe ihn angenommen. Er gehört zu mir und ich kann mir nicht vorstellen, ihn zu verändern. Ich lasse mich gerne auch mit liebevollen Spitznamen anreden, die ich schon lange habe. Wenn Sie ihren Vornamen schon einmal verflucht haben: Wie stehen Sie jetzt zu ihm? Können Sie sich mit ihm versöhnen? Das wäre schön!
Mein Name als Geschenk
Nach diesen ganzen Gedankengängen bleibt für mich eine Erkenntnis: Ich nehme meinen Namen als Geschenk an. Als erstes Geschenk meiner Eltern an mich. Als liebevolles Geschenk. Das mein Herz wärmt. Und ich ändere jetzt einfach mal frech und frei den Satz aus dem Hesse-Gedicht „Jedem Anfang …“ in: „Jedem Namen wohnt ein Zauber inne.“ Auf Ihren Namen! Und auf Ihr zauberhaftes Wesen.